Gerdauen, 26. Januar 1784

Mein würdigster Graf!

Eine wahre Freude hat mir die Nachricht von Ihrem allseitigen Wohlbefinden verursacht. So wie ich es von jeher weiß und meine öfteren Nachrichten von Steinort es bestätigen, so ist und bleibt Steinort ein Sitz der Freuden und des Vergnügens. Ich preise einen jeden Kosmopoliten gleichlich, der davon profitieren kann; ja noch mehr: Ich muss es bekennen, dass ich ihn beneide, da mein Herz es mir bishero verboten, unerachtet Ihrer so gütigen Erlaubnis, mit daran partizipieren zu können. Sie sind zu just und zu sehr von meiner Denkungsart und aufrichtigen Ergebenheit gegen Ihnen überzeugt, als dass Sie es einer Nachlässigkeit, Ihnen unsere Attention zu bezeugen, zuschreiben sollten. Meine Krankheit, die mich dieses Mal ziemlich mitgenommen, und nachhero der Besuch  Friedrich von Holstein-Beck, vermählt mit der Tochter Schliebens, Friederike Amalie
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des Herzogs
und des Grafen Truchseß von Capustigall werden mich bei Ihnen entschuldigen. Nachhero hat Graf Dönhoff von Dönhoffstädt und der Baron  Baron Löwenstein, aus Livland, vgl. Ziebura, Tagebuch, S. 141.
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Löw
einen Stabsmeister aus Hannover an mich adressiert, welchem einige Nachrichten in Anschaffung junger Hengste erteilen musste, und heute hat meine Engels-Baronin aus Beynuhnen mich verlassen, welche aufs Neue ihr Gnaden-Antlitz zu mir gewandt, dass mir also keine Zeit übrig war, von Haus abzukommen.

Von Königsberg habe nichts Neues, was Sie, mein bester Graf, nicht alles wissen sollten. Die vom Regimentsfeldscher Gerlach verschriebene Medizin soll noch nicht gänzlich bei dem Präsidenten ihre Wirkung verloren haben, sondern noch dann und wann Rezidive verursachen. Das   Seit 1751 war eine Neuordnung des preußischen Rechtswesens angedacht, die sich über Jahrzehnte hinzog. Großkanzler Johann Heinrich von Carmer sollte die Aufgabe zum Abschluss bringen. Mit den Geheimen Räten Carl Gottlieb Svarez und Otto Nathanael Baumgarten war er im September 1781 nach Königsberg gekommen, um sich ein Bild von der Rechtspflege zu machen. Die vorgefundenen Missstände wollten sie durch eine Reform des Gerichtsverfassungsrechts beseitigen. So wurden alle königlichen Gerichte 1782 als „Ostpreußische Regierung“ zusammengefasst, zuständig für alle Zivil- und Kriminaljustizsachen, Hypotheken-, Pupillen- und Depositalsachen, die vor ein Obergericht der landesherrlichen Gerichtsbarkeit gehörten. Der Erste Senat der Ostpreußischen Regierung entsprach dem früheren Hofgericht, der Zweite dem Tribunal, aus dem 1815 das Oberlandesgericht Königsberg hervorging. Die ersten Chefpräsidenten der Ostpreußischen Regierung waren Friedrich Alexander von Korff und Ludwig Finck von Finckenstein (1784). Die Neuordnung leitete die Trennung von Justiz und Verwaltung ein. Als Obergerichte wurden außerdem das Hofgericht zu Insterburg, in Westpreußen die Regierung zu Marienwerder und das Hofgericht zu Bromberg begründet.
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schwarze Ungewitter, welches sich über die heilige Justiz zusammenzog
, hat sich durch den Ableiter der Exzellenz von Rebeux(?) zerteilt, welcher eine Versetzung nach Preußen schlechterdings ausgeschlagen.

Der Gemahlin Gräfin Gnaden und dero sämtlichen in Steinort versammelten illustren Sozietät empfehle mich zu Gnaden. Meine Frau und Kinder versichern Ihnen allerseits ihre vollkommenste Hochachtung,

und ich lebe, sterbe, bin auch jenseits des Grabes

ihr Knecht Schlieben

Zitierhinweis

Karl Leopold Graf von Schlieben an Ernst Ahasverus Heinrich Graf von Lehndorff. Gerdauen, 26. Januar 1784. In: Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert. Bearbeitet von Gaby Huch. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2019. URL: https://lebenswelten-digital.bbaw.de/dokumente/detail.xql?id=lehndorff_ftl_ytk_gy