Berlin, den 17. Januar 1871

Hochgeehrter Herr Graf.

Im Auftrag eines Vaters, dem durch das Schicksal eines geliebten und liebenswerten Sohnes eine schwere Prüfung auferlegt wurde, erlaube ich mir, an Ew. Hochgeboren die nachfolgenden Zeilen zu schreiben.

Meine Beziehungen zu dem Fürstlich Radziwillschen Hause sind Ew. Hochgeboren bekannt. Es wird daher einerseits weiterer Erklärung, andererseits einer Entschuldigung nicht bedürfen, wenn Fürst Boguslaw Radziwill in so inhaltsschwerem und traurigen Moment meine Vermittlung in Anspruch genommen und mich beauftragt hat, an seiner statt das Wort zu ergreifen.

Es ist zuvörderst der Dank eines schwer gebeugten Vaters, den ich Ihnen, geehrter Graf, gegenüber auszusprechen beauftragt bin. Gott möge Ihnen und den Ihrigen lohnen, was Sie an dem hoffnungsvollen jungen Mann getan haben, den ein trauriges Schicksal ereilte, dessen Herstellung wir von Gott erbitten!

Nächst diesem Danke habe ich eine Bitte auszusprechen: Der Eintritt der Geistes-Störung des Pr. C. Radziwill ist von traurigen Umständen begleitet worden, das Leben eines Unschuldigen wurde geopfert. Wenn wir hoffen, ja sicher vertrauen dürfen, dass Gott dereinst dem Vollbringer blutiger Tat keine Rechnung abfordern wird, so fällt nichts desto weniger dem Vater die Aufgabe zu,   Unleserliche Stelle [...] ihrer Sühnung zu tun, was dem Menschen zu tun gegeben ist.

Fürst B. Radziwill würde es demnach mit herzlichem Danke erkennen, wenn Ew. Hochgeboren über die Person, die Verhältnisse pp des Opfers eines trüben Wahns Kunde einziehen und ihm Ihre Ansicht mitteilen wollten, in welcher Weise den Angehörigen desselben, bei der Unmöglichkeit, Ersatz ihres Verlustes zu leisten, der Beweis nahen Mitgefühls und tiefen Bedauerns eines schweren Verhängnisses geliefert werden könnte. Fürst B. Radziwill setzt voraus, dass die amtliche Stellung, zu der Sie berufen sind, Ihnen die Möglichkeit bieten dürfte, solche Auskunft zu erteilen; er setzt ferner voraus, dass Sie die hilfreiche Teilnahme, die Sie dem unglücklichen Sohne zuwandten, auch dem schwer gebeugten Vater zu bestätigen geneigt sein werden.

Aber – es ist nicht ausschließlich die Notwendigkeit einer Sühne, welches bei solcher Handlungsweise maßgebend ist.

Es tritt ein anderes Motiv hinzu, und dieses wird Ew. Hochgeboren preußisches Herz würdigen. Es erscheint dringend geboten, einer uns feindlich gegenüber stehenden Bevölkerung den Beweis zu liefern, dass Handlungen, wie solche in dem vorliegenden Fall zu beklagen sind, eines der Resultate des freien, durch krankhafte Einflüsse unbeirrten Willens eines preußischen Offiziers sein können.

Mit Freude benutze ich diesen unerwünschten Anlass, mich in Ew. Hochgeboren Gedächtnis zurückzurufen: die Dauer meiner vollkommensten Hochachtung und Ergebung zu bekräftigen

L. von Wildenbruch

Zitierhinweis

Louis von Wildenbruch an Carl Meinhard Graf von Lehndorff. Berlin, 17. Januar 1871. In: Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert. Bearbeitet von Gaby Huch. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2019. URL: https://lebenswelten-digital.bbaw.de/dokumente/detail.xql?id=lehndorff_ggw_j4g_hdb