Die Veranlagung der Grundsteuer

Der Zeitpunkt der Reinertragsermittlung des gesamten Grundbesitzes in der Provinz rückt immer näher, und es drängt sich die Frage auf, ob diese kolossale Aufgabe auch befriedigend wird gelöst werden können, Man ist in den östlichen Provinzen des Staats hierin viel unerfahrener, als in den beiden  Rheinland und Westfalen
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westlichen Provinzen
, in denen der Kataster seit ein paar Menschenaltern existiert und besondere Behörden sich durch lange Übung Sicherheit und Schnelligkeit in der Lösung dieser Aufgabe angeeignet haben.

Hier in unserer Provinz, wo die Organe fehlen, erscheint es ebenso erwünscht als wichtig, einen sicheren Anhaltspunkt und einen zuverlässigen Leitfaden für die Katastrierung zu haben. Ein solcher Anhaltspunkt und Leitfaden dürfte aber der Reinertrag der Staatsdomänen und Forsten in der Provinz sein. Beide stehen unter erprobter und bewährter Verwaltung, und es wird im großen Ganzen schwerlich anzunehmen sein, dass ein Privatbesitz z. B. mehr aus seiner Forst herauswirtschaftet als der Staat mit seinem studierten, examinierten und pensionsberechtigten Forstpersonal und seinen sonstigen vielseitigen Hilfsmitteln.

Der Staat aber ist der größte Grund- und Forstbesitzer in der Provinz. Der Reinertrag seines Besitzes wird jährlich im Budget in größter Ausführlichkeit und Zuverlässigkeit veröffentlicht, und da sein Besitz in allen Distrikten der Provinz verteilt ist, so wird der Reinertrag desselben im Durchschnitt einen zuverlässigen Maßstab für den Reinertrag des gesamten übrigen Grundbesitzes geben.

Nach dem Staatshaushalts-Etat pro 1861, Anlagen, Band I. pag. 44-54 besitzt der Staat in den Regierungsbezirken

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Königsberg 904,159 Morgen Forstland
Gumbinnen 901,348
Danzig 379,551
Marienwerder 713,307

Die Bruttoerträge aus diesen Forsten betragen für

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Königsberg 398,321 Tlr.
Gumbinnen 307,569
Danzig 90,548
Marienwerder 203,493

Die Verwaltungsausgaben betragen für

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Königsberg 171,160 Tlr.
Gumbinnen 172,759
Danzig 76,300
Marienwerder 134,933.

Dies ergibt einen Nettobetrag von für

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Königsberg 126,861 Tlr.
Gumbinnen 134,810
Danzig 14,249
Marienwerder 68,560.

Wozu noch der entsprechende, wenngleich nicht erhebliche Anteil an den Zentralverwaltungskosten hinzugerechnet werden müsste.

Hiernach ergibt sich, dass im Durchschnitt der Reinertrag des Morgen Forstlandes im Staatsbesitz beträgt im Regierungsbezirk

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Königsberg 4 1/5 Sgr.
Gumbinnen 4 1/3
Danzig 1 1/8
Marienwerder 2 6/7.

Ebenso weist der Staatshaushalts-Etats pro 1861 Band I der Anlagen pag. 20-27 nach, dass der Morgen Domänenland an Reinertrag ergibt in den Regierungsbezirken

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Königsberg circa 23 Sgr.
Gumbinnen 17
Danzig 12
Marienwerder 20.

Es besitzt nämlich der Regierungsbezirk Königsberg 49 Domänenvorwerke mit 63,098 Morgen, welche 70,750 Taler Brutto- und nach Abzug von 20,398 Tlr. Verwaltungskosten (Tit. II und Tit. V der Ausgaben) 50,352 Tlr. Nettoertrag geben.

Der Regierungsbezirk Gumbinnen enthält 62 Domänenvorwerke mit 112,293 Morgen, welche 79,219 Tlr. Brutto- und nach Abzug von 14,053 Tlr. Verwaltungskosten 65,166 Tlr. Nettoertrag geben.

Im Regierungsbezirk Danzig befinden sich 14 Domänenvorwerke mit 14,849 Morgen Flächeninhalt, welche 22,991 Tlr. Brutto- und nach Abzug von 16,875 Tlr. Verwaltungskosten 6,116 Tlr. Nettoertrag geben. Der Regierungsbezirk Marienwerder enthält 39 Domänenvorwerke mit 59,531 Morgen Flächeninhalt, welche 60,079 Tlr. Brutto- und nach Abzug von 19,821 Tlr. Verwaltungskosten 40,858 Tlr. Nettoertrag geben.

Zu bemerken ist noch, dass bei den Domänen der Anteil an den Zentralverwaltungskosten erheblicher als bei den Forsten ist, was bei der obigen Reinertragsberechnung pro Morgen berücksichtigt ist. Hiernach dürfte es im allgemeinen geraten sein, im Durchschnitt nicht über die obigen für die vier genannten Regierungsbezirke durch die Königliche Staatsregierung selbst ermittelten und durch das Budget veröffentlichten Reinertragssätze des Staats-, Domänen- und Forstlandes hinauszugehen. Wenigstens würde große Vorsicht und Prüfung hinsichtlich derjenigen Fälle nötig sein, in denen seitens der Veranlagungskommission jene Durchschnittssätze wesentlich überschritten werden wollten.

Für die Staatskasse ist ohnehin die Höhe der Einschätzung unwesentlich, denn letztere mag ausfallen wie sie wolle, das Quantum der 10 Millionen jährlich bleibt stets gedeckt, und es handelt sich hierbei daher lediglich nur um die relative Überbürdung der anderen Provinzen, namentlich Rheinland und Westphalen gegenüber, in denen notorisch die wirklichen Reinerträge sehr erheblich hinter den katastrierten Reinerträgen zurückbleiben, die bekanntlich meistens schon vor längerer Zeit festgestellt worden sind.

Die gegenwärtigen, oft ganz unverhältnismäßig hohen Verkaufspreise beim Privatgrundbesitz sind durchaus kein richtiger Maßstab für den regelmäßig bleibenden und nachhaltigen Reinertrag: sie sind der großen Mehrzahl nach nicht auf das Verhalten und Vererben, sondern auf das Wiederverkaufen, auf das Parzellieren, auf das Herunterhauen der Wälder usw. berechnet. Es sind Spekulationspreise, die sich auf den momentanen Kapitalwert und nicht auf den bleibenden Ertragswert beziehen und sich auf die augenblicklich steigenden Konjunkturen gründen. Welche Folgen die Ertragsberechnungen nach den momentanen Kaufpreisen nach sich ziehen, haben die Kriegsjahre zu Anfang dieses Jahrhunderts nur zu schlagend bewiesen: Jener Periode gingen auch sehr hohe Kaufpreise des Grund und Bodens voran und die Folge war, dass nachher alle, die zu diesen Preisen Güter gekauft oder erbweise angenommen hatten, mitsamt einem großen Teil der eingetragenen Gläubiger sofort unrettbar verloren gingen und der ganze Besitzstand in andere Hände überging. An den Nachwehen dieser Katastrophe hat die Provinz ein ganzes Menschenleben zu leiden gehabt, da sie in Folge dessen in ihrer landwirtschaftlichen Entwicklung während dieser Zeit weit hinter den anderen Provinzen der Monarchie zurückblieb.

In den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts waren von den ca. 1.000 Rittergütern des Regierungsbezirks Königsberg über 700 in landschaftlicher oder gerichtlicher Sequestration und blieben Jahre gänzlich unverkäuflich; es sind damals viele Fälle vorgekommen, wo Güter, die früher für sehr wertvoll galten, nicht um den Preis der rückständigen Staatssteuern einen Besitzer fanden. Nach so langem Frieden – die preußische Geschichte kennt keinen längeren Zeitraum, während dessen der Feind nicht im Lande gewesen wäre – wird dessen noch längere Dauer immer unwahrscheinlicher. Ein Krieg würde aber dieselben Katastrophen für den Grundbesitz nach sich ziehen wie 1806/07. Man hüte sich also, auf Grund der augenblicklich günstigen Konjunkturen für den Landbesitz und der guten Ernten der letzten Jahre dem Grund und Boden einen zu hohen bleibenden Ertragswert und in Folge dessen zu hohe Grundsteuer beizulegen. Die guten Zeiten vergehen, aber die hohen Steuern bleiben.

Zitierhinweis

Denkschrift. 1861. In: Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert. Bearbeitet von Gaby Huch. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2019. URL: https://lebenswelten-digital.bbaw.de/dokumente/detail_doc.xql?id=lehndorff_mdk_vsj_gy