Königsberg, den 5. April 1775

Hochgeborener Reichsgraf!
Hochzuehrender Herr Kammerherr!

Das über den väterlichen Nachlass in ao. 1730 aufgenommenen Inventarium ist nicht der Art, dass ich daraus eine Information von der Qualität der Steinortschen Güter oder von dem Erbrecht nehmen könnte, welches Ew. Hochgeboren nun geltend zu machen berechtigt sind. Ich erbitte mir also den Erbvergleich vom 16. Februar 1724, imgleichen diejenigen Dokumente, woraus eigentlich die Erbfolge und die Art derselben konstatiert. Soviel ich im Inventario ersehe, so sind bei der damaligen exdivision die Güter nicht als Lehn behandelt, sondern man hat alles ohne die geringste Separation wie allodial zusammengeworfen und NB in 6 gleiche Teile verteilt, bei denen Gütern selbst aber fol. 77 es jedem geneigten Leser zum Erraten überlasen, wer dermalen das Eigentum für 88.000 Fl. bekommen hat. Ich gestehe, dass der damalige beobachtete modus exdivisionis alle meine Begriffe, die ich von Lehn- oder Allodialgütern habe, sehr weit übersteigt. Pristanien und Stawken ist nach pag. 70 ein pures oder Mannlehn; die Steinortschen Güter nebst den Vorwerken Surwillen scheinen mir Magdeburgisches Lehn zu beider Kinder Rechten sein zu sollen; Rosengarten ist schlicht Kölmisch und wohin die Windmühle gehört, ist nicht bemerkt. Es müssten demnach diese ganz ungebührlich zusammengeworfenen Rechte durch die pacta familiae erläutert und nach deren Vorschrift auseinandergesetzt werden. So viel ist gewiss, dass Ew. Hochgeboren ao. 1730 bei der exdivision das Eigentum der Güter nicht übernommen haben, auch nicht haben übernehmen können, zumalen damals noch 2 ältere Brüder am Leben gewesen sind, mithin sie sämtlich zusammengenommen neun Teile aus dem Lehn hätten bekommen sollen, auch gewöhnlich der älteste Bruder immer die Güter anzunehmen   Unleserliche Stelle [...], wenigstens deshalb immer etwas gewisses mit denen anderen abgemacht werden muss. Jetzt aber, da dieses alles nicht geschehen ist, da die Güter damals eigentlich niemandem zugeschlagen sind, da die Vormünder die legale Verteilung der Erbmasse haben geschehen lassen, und da das Inventarium vom Pupillen Collegio konfirmiert ist, auch Ew. Hochgeboren nun sowenig als Dersoselben Herren Brüder nach erlangter Majorennität innerhalb   Unleserliche Stelle [...] 4 Restitutions-Jahren keine Monita dawieder gemacht haben, so scheint mir dieses alles die Folge nach sich zu ziehen, dass Ew. Hochgeboren entweder den jetzigen Testamentspreis sich gefallen lassen oder auf eine neue und gerichtliche Taxe provozieren müssen. Jedoch suspendiere ich noch mein Sentiment, bis ich die pacta familiae, Erbvergleiche p. weiter gelesen haben.

Ew. Hochgeboren habe ich von Deroselben letzteren Abreise, ob es gleich mein fester Vorsatz war, nicht persönlich aufwarten können. Ich behalte es mir indessen vor und statte Hochdenenselben für das Überschickte den gehorsamsten verbindlichsten Dank ab und werde es zum Beweise Dero gnädigen Andenkens wohl konservieren.

Verharre übrigens mit der vorzüglich vollkommensten Hochachtung
Ew. Hochgeboren ganz gehorsamster Diener

Kirschkopff

Zitierhinweis

Hoffiskal Kirschkopff an Ernst Ahasverus Heinrich Graf von Lehndorff. Königsberg, 5. April 1775. In: Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert. Bearbeitet von Gaby Huch. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2019. URL: https://lebenswelten-digital.bbaw.de/dokumente/detail.xql?id=lehndorff_ml4_lyr_33b