Königsberg, den 19. November 1874

Hochgeborene, gnädigste Frau Gräfin!

Aus Veranlassung der von Euer Hochgeboren an des Kaisers und Königs Majestät  am 19. Juli, vgl. dort
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im August d. J.
gerichteten Immediatvorstellung wegen Gründung eines adligen Fräuleinstifts für die Provinz Preußen und wegen Gewährung eines Allerhöchsten Beitrags zu diesem Unternehmen hat der Herr Minister des Innern, dessen Vortrag Sr. Majestät über diese Anträge zu befehlen geruht haben, mich beauftragt, zunächst mehrere Vorfragen im Wege der Verhandlung mit Euer Hochgeboren zur Erörterung und bzw. zur Klarstellung zu bringen.

Wenn auch das von Euer Hochgeboren erörterte Bedürfnis zur Fürsorge für die Töchter des Adels in der hiesigen Provinz durch eine aus der Mitte dieses Standes hervorgehende Stiftung höheren Ortes nicht in Zweifel gezogen wird, so wird doch vorerst der Anfang dieses Bedürfnisses näher festgestellt werden müssen. In dieser Hinsicht wird von dem Herrn Minister des Innern namentlich die Frage aufgeworfen, ob das Bedürfnis zur Gründung eines solchen Stiftes von den der diesseitigen Provinz angehörigen Familien in dem Maße anerkannt wird, wie Euer Hochgeboren nach den §§ XXIX und XXX des Statutenentwurfs voraussetzen dürften. Wenn dies der Fall ist, so fragt es sich ferner, ob die Art der Versorgung, wie dieselbe bis ins Speziellste im Statutenentwurfe ausgeführt wird, auf den Beifall der Standesgenossen und auf deren ausreichende pekuniäre Beteiligung zu rechnen haben wird, in welch letzterer Hinsicht dann weiter geprüft werden muss, ob die in §§ XXIX und XXX des Entwurfs in Aussicht genommenen und in einzelnen Fällen aufscheinenden schon zugesagten Mittel zu der in großem Umfange gedachten Stiftung ausreichen werden.

Euer Hochgeboren würde ich   Unleserliche Stelle [...] besonderen Dank wissen, wenn Sie mir zunächst über die vorbezeichneten Fragen eine möglichst detaillierte Auskunft baldgefälligst wollten zugehen lassen.

Ich gestatte mir sodann ganz ergebenst zu bemerken, wie der Herr Minister des Innern darauf hingewiesen hat, dass, selbst wenn das Inslebentreten der Stiftung in finanzieller Hinsicht ausreichend gesichert erscheinen sollte, der vorliegende Statutenentwurf mehrfache Abänderungen nach Form und Inhalt bedürfen würde, um als eine geeignete Grundlage für die einzuholende landesherrliche Bestätigung der Stiftung und die ihr dadurch zu erteilende juristische Persönlichkeit erachtet werden zu können. Von dem Herrn Minister des Innern ist hierbei als zweckmäßiger Anhalt für die weiteren Verhandlungen das Statut für das adelige Fräuleinstift in der Preußischen Oberlausitz, von welchem ich einen Abdruck mit der Bitte um demnächstige Rücksendung hier anzuschließen mich beehre, bezeichnet worden. Im Einzelnen hat der Herr Minister des Innern hervorgehoben, dass die im § IV des Statutentwurfs vorgesehene Verleihung des Stiftskreuzes an die eingeschriebenen Edelfräulein nach Vollendung des 20. Lebensjahres ebenso wenig Allerhöchsten Orts zur Genehmigung empfohlen werden könne, als die im § XIX am Schluss ausgedrückte Berechtigung der wirklichen Stiftsfräulein, das Stiftskreuz bei festlichen Gelegenheiten an einem handbreiten Bande über der Schulter zu tragen. Es würde vielmehr zunächst von der Entwicklung des Stifts abhängig bleiben, ob für die wirklichen Stiftsdamen Allerhöchsten Orts die Verleihung eines Gnadenzeichens zu erbitten sein dürfte.

Ich behalte mir hiernach ganz ergebenst vor, nach Erörterung der oben bezeichneten Vorfragen auf eine nähere Prüfung der einzelnen Bestimmungen des Statutenentwurfs einzugehen, und mir hierbei die gefällige Mitteilung der Ansichten Euer Hochgeboren zu erbitten.

In größter Verehrung Euer Hochgeboren gehorsamster Diener

v. Horn

Zitierhinweis

Karl von Horn an Anna Gräfin von Lehndorff. Königsberg, 19. November 1874. In: Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert. Bearbeitet von Gaby Huch. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2019. URL: https://lebenswelten-digital.bbaw.de/dokumente/detail.xql?id=lehndorff_odc_tv4_ycb