Hier in Preußen ist jetzt überall nur von der Ankunft des Königs die Rede. Seine ganze Armee zittert davor, weil seine Majestät in den vergangenen Jahren nicht zufrieden zu sein schien. Die Überraschung ist deshalb umso größer, als seine Majestät sie mit erstaunlicher Güte behandelt, alles billigt und ihnen sogar Liebenswürdigkeiten sagt. Eine besonders rührende Szene spielte sich beim Regiment Tettenborn ab.  Am 20. November 1759 hatte das gesamte Regiment bei Maxen kapituliert. Zur Regimentsgeschichte siehe hier.
 [Schließen]
Seine Majestät war aus einem besonderen Grund noch vom Krieg her mit diesem Regiment unzufrieden gewesen
und hatte es ihnen bei jeder Gelegenheit, sogar in demütigender Weise, zu fühlen gegeben. Diesmal nun haben alle ihre Leiden ein Ende genommen. Der König sprach zunächst seinen Beifall zu den Manövern aus, versammelte dann die Offiziere um sich und sagte ihnen wiederholt, es sei alles vergessen und er sei jetzt sehr zufrieden mit ihnen. Sämtliche Offiziere stürzten sich hierauf auf ihn und küssten ihm unter Tränen Hände und Füße, worüber der König und sein Gefolge sehr gerührt waren. Das ganze Lager segnet den König, und ich, der ich dies in einem Zimmer in Dönhoffstädt niederschreibe, vermag kaum meine Tränen zurückzuhalten. Holde Menschlichkeit, welch Entzücken vermagst du einer fühlenden Seele zu bereiten!

Ich habe noch eine andere lebhafte Freude. Wie ich nämlich erfahre, hat Seine Majestät meinen liebenswürdigen Bischof von Ermeland besonders gnädig behandelt. Er erwartet den König in Elbing, begleitet vom Bischof von Kulm, der vor lauter Angst, diesem so berühmten und so gefürchteten Manne vorgestellt zu werden, fast gestorben ist. Als der König, der in zweimal 24 Stunden 50 deutsche Meilen zurückgelegt hatte, aus dem Wagen stieg, sagte er zum Bischof, er sei entzückt, ihn zu sehen, worauf dieser erwiderte: „Ihre Majestät müssen von einer so langen Reise sehr ermüdet sein.‟ „Keineswegs‟, entgegnete der König, „wenn Sie Musik da hätten, würde ich noch tanzen.‟ Das ist gewiss viel in einem Alter von 61 Jahren. Seine Majestät begab sich hierauf ins Zimmer, ließ sich umkleiden und kam dann heiter zur Tafel, an der er vier Stunden aushielt. Auch während des weiteren Aufenthaltes habe er gern mit dem Bischof gespeist und gesprochen und habe ihm bei seiner Abreise 12.000 Taler geschenkt, da er wisse, dass der Bischof Schulden habe, für die er aufkommen wolle. - Lehndorff hat derweil Probleme mit seiner Schwester, denen er durch eine Reise nach Dönhoffstädt aus dem Weg geht. Von hier aus macht er verschiedene Besuche, u. a. in Bartenstein und bei der Witwe Tettau-Tolks, wo er alle „Denkmäler aus der Glanzzeit dieser Familie“ findet, und zum Bischof von Heilsberg. Aufgrund der Erkrankung seines Sohnes unterbricht er den dortigen Aufenthalt, kommt aber Ende Juli zurück. Am 25. August besucht ihn der Bischof von Ermland in Steinort. Zu dessen Ehren ist das ganze Haus erleuchtet. Gemeinsam reisen sie nach Bialystok zur Schwester des Königs von Polen und Gemahlin des Großhetmanns Branicki.

Zitierhinweis

Tagebucheintrag von Ernst Ahasverus Heinrich Graf von Lehndorff. Dönhoffstädt, August/September 1773. In: Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert. Bearbeitet von Gaby Huch. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2019. URL: https://lebenswelten-digital.bbaw.de/dokumente/detail_doc.xql?id=lehndorff_awl_pjt_xdb