Ich gehe mit dem Grafen Podewils, Herrn von Klinggräffen und Herrn von Knyphausen aufs Land. Da ist mir am wohlsten, abseits vom Lärm des Hofes in einer soliden Gesellschaft, wo eine vernünftige Unterhaltung die Zeit angenehm verstreichen lässt. Graf Podewils ist nach dem Urteil aller der angenehmste und würdigste Mann der ganzen Gesellschaft. Herrn von Klinggräffens Ansehen ist gegen früher etwas gesunken. Als Gesandter an fast allen Höfen verband er mit viel angeborenem Geschick eine große Routine. Sein letzter Aufenthalt in Wien, die Störung in seinen Geschäften und besonders die unfreundliche Aufnahme bei seinem Herrn haben das ihrige beigetragen, ihn zu verstimmen, und bei seinem Alter passt er nicht mehr in jede Gesellschaft, aber im kleinen Kreise und unter Leuten, wo er sich keinen Zwang aufzuerlegen braucht, ist seine Unterhaltung immer noch sehr lehrreich. Was Knyphausen betrifft, so würde er noch mehr gefallen, als es tatsächlich schon der Fall ist, wenn man uns von ihm nicht ein Bild entworfen hätte, das die Vollkommenheit selbst noch übertrifft; wie können daher am Original nicht alles das finden, was sein Ruf uns versprach. Er besitzt indessen viel Geist, und die, welche ihn kennen, behaupten, er habe ein ausgezeichnetes Herz. Ich selbst finde ihn angenehmer in ernster Unterhaltung als unter Frauen, wo er noch allzu sehr den jungen Mann spielt. Allerdings trägt das weibliche Geschlecht hier selbst viel zu dem vertraulichen Ton bei, den wir und besonders Ankömmlinge sich herausnehmen, denn unsere Frauen machen unseren Fremden alle möglichen Avancen. Was ich noch fürchte ist der Umstand, dass Knyphausen, durch die Auszeichnungen von Seiten des Königs geblendet, nicht all die Vorsicht beobachten wird, die bei einem so aufgeklärten Fürsten, der allem, was Laster, Lächerlichkeit und Leichtfertigkeit heißt, so abhold ist, angezeigt erscheint. Bei einem Fürsten, der wie unser Herrscher ein so großer Geist ist, muss man sich, wie ich glaube, große Zurückhaltung auferlegen, um jede Gelegenheit zu vermeiden, die eigenen schwachen Seiten und besonders Leidenschaften aufzudecken. Allein im Grunde kommt doch alles so, wie es uns von Ewigkeit her vorausbestimmt ist, und menschliche Vorsicht wird so oft zu Schanden gemacht, dass man ein Narr wäre, wenn man sich allzu sehr auf sie verlassen wollte.

Zitierhinweis

Tagebucheinträge von Ernst Ahasverus Heinrich Graf von Lehndorff. Berlin, 27./28. April 1757. In: Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert. Bearbeitet von Gaby Huch. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2019. URL: https://lebenswelten-digital.bbaw.de/dokumente/detail_doc.xql?id=lehndorff_grm_hmf_ndb