Nekrolog

Der verstorbene Landhofmeister Graf von Lehndorff, dessen langes tätiges vielbewegtes Leben über die heutige Generation weit zurückreicht, war geboren am 17. September 1770.

Sein Vater, gleichfalls Landhofmeister, war ein Mann von Geist und Witz und feiner Bildung, der den größten Teil seines Lebens am Hofe König Friedrichs II. und dessen Bruder, des Prinzen Heinrich, zugebracht hat. Seine Mutter, eine geborene Gräfin Schmettow aus dem Hause Stohnsdorf in Schlesien, war ein Muster von Herzensgüte und Sanftmut und wie wenige ihres Geschlechts vertraut mit der schönen Literatur und Poesie, namentlich der französischen.

Nach einer sorgfältigen Erziehung im elterlichen Hause trat er im Jahr 1787 in das erste Bataillon Garde in Potsdam ein und machte mit demselben die  1793/94
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Rheinkampagne im Jahre 1792 und 1793
mit. In jene Zeit fallen seine näheren Beziehungen zu dem genialen und väterlichen Prinzen Ferdinand. Im jugendlich kühnen soldatischen Übermut wurde damalen oft von beiden gemeinschaftlich die Gefahr auch da gesucht, wo es der Dienst nicht erforderte, ja längere Dauer der Belagerung von Mainz gab dazu wiederholte Veranlassung.

Gegen Ende der Kampagnejahre wurde Lehndorff als Stabskapitain zur Garde du Corps versetzt, in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts bei Errichtung eines neuen Kavallerie-Regiments - des   Militärische Unterlagen aus den Jahren 1797-1801 in: GStA PK, XX. HA, Rep. 54 Gutsarchiv Lehndorff-Steinort, Nr. 49 und 358, aus den Jahren 1808/09 ebd., Nr. 495, weitere Militaria auch in Nr. 334-335; zum Dragonerregiment Rouqette: StA L, Bestand 21950 Familienarchiv Lehndorff, Nr. 19 und GStA PK, XX. HA, Rep. 54 Gutsarchiv Lehndorff-Steinort, Nr. 625 ff. und 781 ff.
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Rouquettschen Dragonerregiment
- als Major zu diesem. Die letztere Versetzung, die nach den damaligen Begriffen für ein sehr rasches Avancement galt, entfernte ihn aus der Residenz, seiner bisherigen Garnison, wo sein offener heiterer Sinn, ein ungewöhnlich vorteilhaftes Äußeres, vor allem aber die liebenswürdigen Eigenschaften seines Herzens und Geistes ihm die allgemeinste Anerkennung verschafft hatten.

Seine neuen Garnisonen, im unwirtlichsten Teile des damaligen Südpreußen (Mtawa, Przasznitz usw.) bildeten den größten Kontrast mit seinem bisherigen Leben am Hof und in der Hauptstadt. Der unglaubliche Krieg 1806 und 1807 unterbrach aber bald diesen Aufenthalt; nach mehrfachen  Vgl. die Militaria aus der Dienstzeit in Frankreich und zu Lehndorffs Gefangennahme während des Gefechts bei Marienwerder 1827 in: GStA PK, XX. HA, Rep. 54 Gutsarchiv Lehndorff-Steinort, Nr. 668 ff.
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Hin- und Hermärschen, nach mehrmaligen Zusammentreffen mit dem Feinde, wurde Lehndorff an der Spitze einer Abteilung seines Regiments verwundet, gefangengenommen und nach Frankreich abgeführt.
Erst der Tilsiter Friede führte ihn in die Heimat zurück.

Er nahm nun, nachdem er zwanzig Jahre Soldat gewesen war, den Abschied, nicht weil er dem Vaterlande nicht auch während jener Unglücksperiode seinen Dienst hätte widmen wollen, sondern nur weil er sah, dass es ein Gebot der Notwendigkeit für Preußen geworden war, die Armee zu redigieren und dass es folglich zunächst Pflicht aller derer wäre, den Dienst zu verlassen, die unabhängig davon eine selbständige Existenz hatten.

Allerdings war zwar nach dem Krieg 1806/07 der Grundbesitz in der Provinz Preußen, auch der größere, so wenig einträglich, dass die darauf beruhenden Existenzen wohl gefährdet erscheinen konnten, und namentlich hatten Lehndorffs Güter - Steinort am Mauersee im Kreise Angerburg - die größten Verluste erlitten, allein er sah gerade in dem Retablissement dieses alten Besitzes, der sich seit den ersten Zeiten der Eroberung des Landes durch den Deutschen Orden ununterbrochen in seiner Familien befunden hatte, für damals seinen Beruf und widmete sich ihm mit voller Liebe. Nach den ersten unerlässlichen Einrichtungen auf seinen von Freund und Feind verwüsteten Gütern ging er auf die erste landwirtschaftliche Lehranstalt nach Möglin zu Thaer und nahm mit Eifer und Fleiß an allen dortigen Lehrkursen und praktischen Versuchen teil.  Vgl. die zahlreichen Gutsakten ab 1811 in: GStA PK, XX. HA, Rep. 54 Gutsarchiv Lehndorff-Steinort, ab Nr. 474, die nur punktuell einbezogen werden konnten. Zur Schafzucht z. B. Nr. 486, zur Pferdezucht Nr. 483, zur Einführung der Fruchtwechselwirtschaft Nr. 484.
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Auf seine Begüterungen zurückgekehrt, führte er dann dort einen rationellen landwirtschaftlichen Betrieb mit Erfolg ein und leistete namentlich im Gebiete der edleren Schaf- und Pferdezucht und der landwirtschaftlichen Bauten Ungewöhnliches.
Leistungen, die nur von denjenigen in ihrer vollen Bedeutung anerkannt werden können, die im Stande sind, die Schwierigkeiten solcher Neuerungen in der damaligen Zeit und unter einer größtenteils masurischen Bevölkerung zu ermessen.

Inzwischen war der Winter 1812/13 herangekommen und die Katastrophe der französischen Armee in Russland weckte auch die Hoffnung der preußischen Patrioten auf endliche Befreiung von der Fremdherrschaft. Der hochherzige Aufschwung der Provinz Preußen, gehegt und geleitet durch die damalige ständische Vertretung, schuf trotz der materiellen Erschöpfung des Landes, neben allem, was dem stehenden Heere zufloss, die Landwehr, das  Dokumente in: GStA PK, XX. HA, Rep. 54 Gutsarchiv Lehndorff-Steinort, Nr. 817 (Planung und Entwurf 1813) und StA L, Bestand 21950 Familienarchiv Lehndorff, Nr. 20 und 21.
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National-Kavallerie-Regiment
und die freiwilligen Jägerabteilungen. Nach allen Richtungen hin war hierbei Lehndorff tätig anregend und mitwirkend (siehe unter anderem  Droysen, Johann Gustav, Das Leben des Feldmarschalls Grafen Yorck von Wartenburg, 3 Bde., Berlin 1851.
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Yorcks Leben von Droysen
). Er übernahm die Formation und Führung des National-Kavallerie-Regiments und es leben noch viele, die damals unter ihm gestanden und ihm von der Zeit her bis heute ihre Achtung und Anhänglichkeit bewahrt haben, manche, die noch von damals her in ihm den väterlichen Freund und Vater verehren. Er selbst hing mit Liebe an diesem Korps von Freiwilligen, von denen so viele unter den größten Opfern eingetreten waren und aus reiner wahrer Vaterlandsliebe Hab und Gut, Leben und Gesundheit freudig einsetzten.

Im Frühjahr 1813 verließ er an der Spitze des Regiments Königsberg, um zur großen Armee in Schlesien zu stoßen und oft pflegte er damals im Vertrauen auf den Mut und die Kühnheit der begeisterten Schaar zu sagen: wie er wohl wisse, dass er sein Regiment gut vor und in den Feind führen werde, aber nicht, wie er es wieder herausbringen werde. Und so geschah es auch, denn namentlich in der Schlacht an der Katzbach, wo das Regiment sich rühmlich ausgezeichnet und mehrere feindliche Kanonen eroberte, hat er deshalb große  Vgl. StA L, Bestand 21950 Familienarchiv Lehndorff, Nr. 22.
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Verluste
erlitten, weil es sich zu weit vorgewagt hatte.

Auch in den folgenden Schlachten und Gefechten tat sich das Regiment hervor, sprengte feindliche Quarrées, nahm Kanonen und machte viele Gefangene, so ganz besonders bei Leipzig. Überall war dabei Lehndorff voran. Zweimal wurde ihm das Pferd unter dem Leibe erschossen.

Im weiteren Verlauf des Feldzuges 1813/14, als seine Anciennitätsverhältnisse ihm das Regimentskommando erlaubten, wurde Lehndorff dem Yorckschen Hauptquartier beigegeben und zu verschiedenen Sendungen und Kommandos gebracht. Er erhielt die beiden eisernen Kreuze und mehrere russische und andere fremde Orden und Ehrenzeichen. Auch war er zur Zeit des Besuchs der verbündeten Monarchen mit Blücher in London und längere Zeit in Paris, auch später in Wien zur Zeit des Kongresses.

 Zu den Jahren 1813 bis 1815: GStA PK, XX. HA, Rep. 54 Gutsarchiv Lehndorff-Steinort, Nr. 562 bis 564.
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Nach der Kampagne 1815 blieb er in Frankreich
bei der Okkupations-Armee, von welcher er die Brigade kommandierte, die um und in Sedan stand. 1818 kam er nach Köln in Garnison, wo er eine  Zu diesen Jahren: GStA PK, XX. HA, Rep. 54 Gutsarchiv Lehndorff-Steinort, Nr. 529, 532, 534, 535 und 600.
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Kavalleriebrigade bis zum Jahr 1823 führte.
In diesem Jahre vermählte er sich, nachdem er inzwischen Generalmajor geworden war, mit Pauline Gräfin Schlippenbach und wurde dann auf seinen Wunsch nach Danzig versetzt, um seiner Begüterung näher zu sein. Dort stand er zehn Jahre in Garnison, während welcher Zeit ihm 5 Kinder,   Carl Meinhard, Heinrich und Georg
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3 Söhne
und 2   Pauline und Magdalena
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Töchter
, geboren wurden. Die Sorge für deren Zukunft trat ihm nun immer näher; er suchte daher im Jahr 1833, nachdem er zum zweiten Mal 20 Jahr lang der Armee angehört hatte,  Auf die Scheidung von Pauline geht der Nekrolog nicht ein.
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seinen Abschied nach und erhielt ihn als Generallieutenant.

Seitdem lebte er fast ausschließlich auf dem Lande, zum größten Teil in Steinort, zum Teil auch auf seinen Gütern bei Königsberg, Warglitten, Landkeim usw., die er von seinem einzigen Bruder, dem im Jahre 1835 kinderlos verstorbenen ehemaligen Gesandten Grafen Heinrich Lehndorff geerbt hatte. - Die Erziehung seiner Kinder und die Sorge für seine Gutsinsassen waren von da an seine Hauptbeschäftigung. Er war von den letzteren wie ein Vater geliebt und geehrt, und wenn irgendwo in der Provinz, so hatten sich auf seinen Gütern, die fern von größeren Städten und Landstraßen, halb umschlossen vom Maueresee, in einer grässlichen Abgeschiedenheit liegen, patriarchalische Verhältnisse erhalten. Im Jahre 1848 wollten alle seine Gutsinsassen bei allen Wahlen nur ihm ihre Stimme geben und wenn es in seiner Begüterung eine Aufregung gab, so war es die, ihn gegen Gefahren verteidigen zu wollen, die ihn von außerhalb hätten bedrohen können. Geben und Wohltun waren seine Hauptfreude! Der Flur seines Hauses war ein nie leerer Sammelplatz der Armee der ganzen Umgegend und keiner verließ ihn unbeschenkt und ohne freundlichen Zuspruch. In den Jahren der Teuerung und des Misswachses jener Gegend 1844-45 und 57 und anderen wurde namentlich im Winter, wo die armen Leute der benachbarten kleinen Städte und Domainendörfer nirgends Verdienst und Arbeit fanden, in seinem Hause täglich für die Hungrigen Speise und Trank bereitet, die von außerhalb seiner Güter - denn für die Notleidenden innerhalb derselben hatte er ohnehin schon gesorgt - oft viele Meilen weit in Schaaren gezogen kamen, um dort gesättigt zu werden.

Aber auch den öffentlichen Angelegenheiten entzog er sich nicht. Abgesehen von den landwirtschaftlichen, hippologischen und anderen gemeinnützigen Vereinen, deren Mitglied er war, nahm er auch an den provinzialständischen Versammlungen teil. Während des Huldigungslandtages 1840 war er Landtagsmarschall; um diese Zeit erhielt er den großen Roten Adlerorden, fünf Jahre später die Landhofmeisterwürde.

 - Am 1. August 1852 nächtigte Friedrich Wilhelm IV. in Steinort, dass ihm bereits von einer Reise durch Litauen und Masuren im Sommer 1809 bekannt war, vgl. Schultze, Lebensbild, S. 663 und GStA PK, XX. HA, Rep. 54 Gutsarchiv Lehndorff-Steinort, Nr. 730.
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Im Sommer 1852 erlebte er noch die große ehrenvolle Freude des Besuchs seines Königs, der von der Feste Lötzen aus über den Mauersee am 1. August in Steinort landete und dort die schönen alten Eichenwälder und die Parkanlagen mit Interesse wiedersah, die er schon in früheren Tagen als Kronprinz im Jahr 1808 einmal besucht hatte.

Am 18. Januar 1853 wurde Lehndorff die höchste Ehre der Monarchie, der  Vgl. GStA PK, XX. HA, Rep. 54 Gutsarchiv Lehndorff-Steinort, Nr. 811.
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Schwarze Adlerorden
zuteil. Rüstig und tatkräftig, ja jugendlich frisch an Leib und Seele, wie er sein ganzes Leben hindurch gewesen war, verlebte er noch das letzte Jahr und endete in Königsberg sanft und schmerzlos am  Lehndorff wurde vorerst in der Dönhoffschen Familiengruft in Königsberg beigesetzt, bis das Erbbegräbnis in Steinort am Mauersee fertiggestellt war, in dem dann auch seine Frau 1871 beigesetzt wurde. Andere Vorverstorbene wie die Mutter und der älteste Sohn und dessen Gemahlin wurden hierher umgebettet.
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7. Februar 1854 im 84. Jahre, beweint von vielen, betrauert von allen, die ihn kannten; ohne Feind und Widersacher.

Zitierhinweis

Nekrolog auf Carl Friedrich Ludwig Graf von Lehndorff. 1. März 1854. In: Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert. Bearbeitet von Gaby Huch. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2019. URL: https://lebenswelten-digital.bbaw.de/dokumente/detail_doc.xql?id=lehndorff_ic1_4fp_dbb