Heinrich Graf Lehndorff.

Er kam, nachdem seine Erziehung durch mancherlei Hände gegangen war, in U III zu uns. Er erwies sich als ein mindestens durchschnittlich begabter Schüler. Seine Schulpflichten erfüllte er unregelmäßig. Er war lange Zeit im Verhältnis zu seinen Altersgenossen unreif, tollpatschig, poltrig, naiv. Er erliegt leicht jedem Einfluss. Er ist voll guter Vorsätze, aber schwach im Halten. Lebensfroh, sorglos, unbekümmert lebt er in den Tag hinein. Er lässt sich leicht verführen und war bis zu seiner Zurückstellung von der Reifeprüfung (Ostern 1929) bei jedem dummen Streich dabei.

Trotz durchaus genügender Begabung hat er keine höheren Interessen. Er ist ein Mensch, der nicht mit Problemen ringt. Er ist ein Landkind, liebt das Land, die Landwirtschaft, die Tiere, das Jagen und das Reiten.

Er zeigt Interesse für jeden Sport und leistet darin Achtbares.

In der Oberprima brachte er im ersten Jahr nicht den nötigen Fleiß und Ernst auf, um das zur Zulassung zur Reifeprüfung notwendige Maß von Können aufzuweisen. Er musste Ostern 29 zurückgestellt werden. Diese Zurückstellung hatte einen heilsamen Einfluss. Er hat sich im letzten Jahr zu größerer Reife entwickelt, die auch in seinen Schularbeiten zum Ausdruck kommt, so dass er in allen Fächern Genügendes und Besseres leistet. Auch dass man ihn seiner mangelnden Selbstdisziplin wegen nicht für würdig hielt, Alumnatsinspektor zu werden, ihn dadurch also jüngeren Schülern unterordnete, hat ihn zu einer gewissen Selbstbesinnung geführt, wenn auch sein Stolz etwas leidet und manchmal eine oppositionelle Einstellung im Alumnat fühlbar wird.

Zitierhinweis

Zeugnis der Klosterschule Roßleben. Frühjahr 1929. In: Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert. Bearbeitet von Gaby Huch. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2019. URL: https://lebenswelten-digital.bbaw.de/dokumente/detail_doc.xql?id=lehndorff_nzw_3ml_xdb