Es ist wohl schon zu Eurer Wissenschaft gekommen, liebe Freunde und Landesgenossen, dass unser König mit derjenigen Seite der Berliner Nationalversammlung, welche sich selbst die linke genannt hat, weil sie überall nirgend auf dem rechten Wege bleiben mochte, keine vernünftige Verfassung vereinbaren konnte, und deswegen, gegen seine anfängliche Meinung und nur durch seine väterliche Fürsorge um das Wohl des Ihm von Gott anvertrauten Preußenlandes dazu gezwungen, uns eine vorläufige Verfassung gegeben hat. Er hat in derselben aber nicht allein seine früher gewährten Verheißungen erfüllt, sondern sie auch noch um eine Menge der größesten Volksrechte und edelsten Freiheiten vermehrt, und uns nach dem Urteil der freisinnigsten Männer Gerechtsame verliehen, wie solche kaum ein anderes Volk der Welt besitzt.

In Folge dieser Verfassung sollt Ihr nun am 22. Januar 1849 wieder zu Urwahlen zusammentreten, und zwar gerade in derselben Weise, wie solche im vergangenen Mai geschehen ist. Damit Ihr Euch aber bei dieser Gelegenheit nicht von neuem durch die sogenannten Volksfreunde betrügen und hinters Licht führen lasst, richte ich als ein mit den ländlichen Verhältnissen unseres Vaterlandes wohlbekannter Mann diese Ansprache an Euch und hoffe, ein gutes Wort werde auch heute noch eine gute Stätte bei Euch finden.

Da wende ich mich natürlich zuerst an Euch, Ihr Urwähler! - Die ganze Summa des Rates, den ich Euch zu geben vermag, lässt sich in wenigen Worten zusammenfassen:

Gebt keinen Einflüsterungen Gehör, sondern folgt beim Aussuchen der Wahlmänner allein dem gesunden Menschenverstand und der Stimme des Gewissens.

  Editorische Auslassung [...]

Glaubt ja nicht, dass irgend eine Staatsverfassung in der Welt an und für sich selbst schon im Stande sei, die Menschheit frei und glücklich zu machen; der beste Ackergrund und die reinste Saat allein geben noch keine Gewähr für eine gute Ernte. Der Boden will auch fleißig bestellt sein; dazu sind gewissenhafte und treue Arbeiter von Nöten; und wie ihr keine Herde von Schweinen aufs Feld schickt, die sich freilich auch gut aufs Wühlen verstehen um den Boden zu lockern und für die Aufnahme der Saat empfänglich zu machen, ebenso wenig sendet jene Maulwürfe in die neuen Kammern, welche nichts können und wollen, als aus Eurem Herzen die Wurzeln herausfressen, mit denen ihr an Gott, an König und Vaterland hängt! Sucht Euch Männer aus, von denen Ihr vor Gott und vor Eurem Gewissen die Überzeugung habt, dass ihr Herz warm und hingebend für das Ziel unseres Vaterlandes schlägt, und dass sie auch die Fähigkeit und die Kenntnisse besitzen, am Neubau unseres Staatenlebens wirksam mitzuarbeiten. Habt Ihr solche Männer erwählt, so mögt Ihr auch getrost auf Gottes Segen hoffen; er wird Euch am Tage der Ernte nicht fehlen, sondern nach der Verheißung über König und Volk, über Kind und Kindeskind kommen!

Zitierhinweis

Das wohlgemeinte Wahlbüchlein. Eine Ansprache an die Urwähler und Wahlmänner vom Lande, verfasst von [Heinrich] Köster, am Jahresende 1848. In: Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert. Bearbeitet von Gaby Huch. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2019. URL: https://lebenswelten-digital.bbaw.de/dokumente/detail_doc.xql?id=lehndorff_yds_yp2_5bb