Berlin, 18. August 1944

Betrifft: 20. Juli 1944.

Die Politischen Beauftragten bzw. Unterbeauftragten sowie die Verbindungsoffiziere zum  Oberkommando der Wehrmacht
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OKW
sind, soweit ihre Namen bekannt waren und soweit sie noch am Leben sind, sämtlich festgenommen. Die Untersuchungen beziehen sich darauf, inwieweit die Betreffenden vorher über den Anschlag und über ihre Aufgaben unterrichtet gewesen sind. Von einem großen Teil wurde zunächst behauptet, dass eine Fühlungnahme mit ihnen vorher nicht stattgefunden habe, und eine Einwilligung ihrerseits nicht erfolgt sei.

Die Vernehmungen der Stauffenberg-Gruppe (vor allem Schulenburg) sowie die sichergestellten Materialunterlagen (vorbereitete Befehle, Verordnungen usw.) lassen die Möglichkeit offen, dass eine große Zahl von Beauftragten und Verbindungsoffizieren tatsächlich nicht unterrichtet worden war. Auch die Vernehmung Goerdelers bringt bisher noch kein völlig klares Licht in den Komplex der Beauftragten und Verbindungsoffiziere, da Goerdeler sich vielfach gedächtnislos auf das stützt, was er von Schulenburg gehört hat. Immerhin lässt sich (vgl. auch Bericht vom 4.8.1944) unter Zuhilfenahme der ersten Vernehmungen von Leuschner folgende Zwischenübersicht geben:

Wehrkreis I:

Leuschner erinnert sich, dass ihm von Goerdeler als Politischer Beauftragter in den Wehrkreisen „für Ostpreußen ein Graf, für Pommern ein Adliger‟ genannt worden war. Graf Lehndorff als Verbindungsoffizier hat nach seiner Verhaftung in Königsberg, seiner Flucht in Berlin, seiner Wiederergreifung und einem Selbstmordversuch die volle Kenntnis aller Attentats- und Putschpläne eingestanden. Der Grad der Orientierung des Grafen Dohna-Tolksdorf, seines Onkels, der Politischer Beauftragter werden sollte, wird noch geprüft.

Graf Lehndorff.

Lehndorff war nach Kriegsausbruch Ordonnanzoffizier bei seinem Onkel, dem Generalfeldmarschall von Bock, Heeresgruppe B. Lehndorff nimmt an, dass der jetzige Adjutant seines Onkels, Oberstleutnant von Hardenberg, ebenfalls über den Anschlag vom 20.7. unterrichtet war.

Lehndorff begründet seine ablehnende Stellung zum nationalsozialistischen Staat damit, dass er

a) die Volkstumspolitik im Ostern, insbesondere das geringe Entgegenkommen in der Ukrainerfrage für falsch hält,

b) bei grundsätzlich antisemitischer Einstellung die Art der Durchführung aller auf die Ausschaltung des Judentums gerichteten Maßnahmen nicht bejahen kann, wobei

c) seine persönliche kirchliche Bindung stark mitspricht.

d) Er sei mit einzelnen führenden Persönlichkeiten der Bewegung wegen ihrer Haltung nicht einverstanden,

e) er kritisiert die militärischen Maßnahmen seit Stalingrad und ist seitdem zu einer ausgesprochen defätistischen Ansicht vom Krieg gelangt.

Lehndorff - Tresckow - Yorck.

Lehndorff ist erstmalig im Herbst 1943 durch Tresckow, damals in der Heeresgruppe Bock, angegangen worden. Es könne nicht so weitergehen, es müsse etwas geschehen. Tresckow bezog sich darauf, dass Bock und Fellgiebel d. Ä. der gleichen Meinung waren.

Er lernt dann Yorck kennen, der ihn auf die Bestrebungen Goerdelers nach einer Regierungsumbildung aufmerksam macht. Yorck bezeichnet damals Goerdeler und Männer wie Popitz als zu alt und reaktionär, als dass man von ihnen eine tragfähige Regierung erwarten könnte. Seiner Meinung nach müsse eine viel breitere Basis geschaffen werden unter Einbeziehung der Arbeiterschaft bis zum linken Flügel der Sozialdemokratie, man solle die militärische Entwicklung ausreifen lassen und für den Zusammenbruch die Plattform eines neuen Systems legen.

In der Folgezeit gleicht sich Yorck der Ansicht Tresckows, dass ein Gewaltunternehmen erfolgen müsse, an. Maßgebend war, dass Stauffenberg die Tresckowschen Pläne aufgriff und zielbewusst vorwärts trieb.

Lehndorff - Stauffenberg.

Im Frühjahr 1944 wird Lehndorff durch Stauffenberg als Verbindungsoffizier eingesetzt und im April/Mai 1944 von Stauffenberg ausführlich unterrichtet. Er habe sich im Falle eines Gewaltunternehmens zum stellvertretenden Generalkommando nach Königsberg zu begeben, wo er weitere Befehle abwarten sollte. Lehndorff wusste, dass der Putsch mit dem Walküre-Plan getarnt wurde, und zwar mit der Motivierung, dass für den Fall innerer Unruhen durch ausländische Arbeiter Vorbereitungen getroffen werden müssten. Einzelheiten des Anschlags, entnehmbar aus den Gesprächen mit Lehndorff, Wagner, von Freytag-Loringhoven, Lindemann, von Haeften u. a. Die eingehende Unterrichtung Lehndorfs versteht sich allein daraus, dass  Hauptquartier des Oberkommandos des Heeres
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„Mauerwald‟ (OKH)
auf seinen Besitzungen liegt.

Teilnahme am Anschlag

Lehndorff begründet seine Teilnahme am Anschlag damit, dass er zu der Ansicht gelangt sei, es sei besser, selbst mit erheblichem Risiko etwas zu tun, statt die Entwicklung dem bolschewistischen Chaos zutreiben zu lassen. Entweder ginge der Anschlag schief oder er werde ein solcher Erfolg, dass sich niemand dagegen auflehne.

Am 11.7. will er zufällig in Berlin gewesen sein. Am 15.7. will er erst nachträglich durch Lindemann erfahren haben, dass dieser Tag wiederum „kritisch‟ war. Am 19.7. wurde er durch den IA beim stellvertretenden Generalkommando in Königsberg, Oberstleutnant Erdmann (verhaftet) fernmündlich von der Bitte von Haeftens in Kenntnis gesetzt, dass er sich am 20.7. in Königsberg einfinden möchte. Der Wagen zur Fahrt nach Königsberg wurde Lehndorff ohne weiteres von Fellgiebel gestellt, von dem Lehndorff sagt, dass er einer der stärksten Verfechter der Attentatsidee war.   Editorische Auslassung [...]

Zitierhinweis

Vernehmungsbericht. Berlin, 18. August 1944. In: Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert. Bearbeitet von Gaby Huch. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2019. URL: https://lebenswelten-digital.bbaw.de/dokumente/detail_doc.xql?id=lehndorff_agq_y4v_fz